Solingen/ Im März 2019 hatten die Grünen im Sozialausschuss die einfache Frage gestellt, ob im Vergleich zum letzten Armutsbericht 2006 es mehr oder wenige arme Kinder in dieser Stadt gibt. 17 Monate später legte die Sozialverwaltung jetzt einen 250 seitigen Sozialbericht vor in dem diese Frage immer noch nicht eindeutig beantwortet wird.
„Damals, im letzten Armutsbericht von 2008 gab es noch eine eindeutige Antwort: `In Solingen leben 22.000 Menschen, jeder zehnte, unterhalb der Armutsgrenze. Darunter sind etwa 4000 Kinder und 3000 Senioren`. Eine solche konkrete Aussage fehlt mir in diesem Sozialbericht. Stattdessen wird Armut relativiert und verschleiert“, kritisiert der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Frank Knoche.
Nach seinen eigenen Recherchen habe es im letzten Jahr vor Einführung von Hartz IV unter Bundessozialhilfegesetz-Bedingungen noch 3.549 Kinder in Hilfen zum Lebensunterhalt gegeben. 2018 waren 1540 Kinder mehr im Hilfebezug. Der Paritätische Wohlfahrtsverband geht in seinem Armutsbericht von 2020 von einer Armutsquote von 15,9 Prozent aus, wobei es in NRW 21,4 Prozent Arme gebe und unterstellt der Bundesregierung eine „armutspolitische Verweigerungshaltung“.
„Diesen Vorwurf könne man auch dem für den Bericht federführenden Sozialdezernenten nicht ersparen, insbesondere, wenn er behauptet, dass man in Solingen „die Armutsgefährdung ein Stück weit reduziert habe“. so Frank Knoche: „Wir haben zwar auf rot/grüner Initiative einiges verbessert in unserer kommunalen Sozialpolitik, aber wer die Augen davor verschließt, dass vor allem durch das Versagen von Bundes- und Landesregierung sich die Schere zwischen arm und reich weiter geöffnet und verschärft hat, der verschließt die Augen vor den Realitäten. Nicht zuletzt weil der Hinweis auf eine weitere Verschlechterung durch die Pandemie unterbleibt.“
Die grüne Sozialpolitikerin und ehemalige Sozialdezernentin des Landschaftsverbandes Rheinland, Martina Hoffmann-Badache, wies darauf hin, dass auch die Zahlen des Berichts zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen die Realität in Solingen nicht widerspiegeln. Der LVR gehe für Solingen von ganz anderen Zahlen aus. Sie erwartet, dass dem Zusammenhang zwischen Behinderung, Arbeitslosigkeit und Armut in den weiteren Beratungen näher unter die Lupe genommen wird.
Trotz aller Schwächen zeige der Sozialbericht, nachdem man ihn mühselig entschleiert hat , doch erhebliche soziale Schieflagen auf, konstatieren die Grünen:
– 22.628 Personen, 13,9 Prozent der Solinger und Solingerinnen sind auf Sozialhilfe angewiesen,
– Insbesondere Migranten, Frauen und Alleinerziehende sind auf Sozialleistungen angewiesen,
– Schon ab 12.500 Euro Jahreseinkommen werden gering Verdienende zu Elternbeiträgen für Kitas und Offenen Ganztag herangezogen. In Remscheid erst ab 19.000 Euro,
– Die Anzahl der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss ist in Solingen, auch im Vergleich zu anderen Städten, unverhältnismäßig hoch,
– die Anzahl der Sozialwohnungen sank von 9000 in 1999 auf 4000 in 2018. Die NRW-Bank geht von einer weiteren Verringerung um 60 Prozent bis 2030 aus,
– 14,85 Prozent aller Solinger und Solingerinnen sind von Überschuldung betroffen,
– 35 Prozent der ALG-II-Beziehenden haben manifeste gesundheitliche Einschränkungen,
– fast jedes fünfte Kind unter 3 Jahren und ebenso jede fünfte Person unter 18 Jahren befindet sich im SGB-II-Bezug, Das sind 2682 Familien mit 5089 Kinder,
– Die Anzahl der der armutsgefährdeten älteren Menschen stieg seit 2010 um 33 Prozent.
„Wir Grünen freuen uns darüber, dass wir in unserer Kritik an diesem geschönten Sozialbericht, insbesondere von den Wohlfahrtsverbänden, von der SPD, den Linken und auch aus den Reihen der CDU, Zustimmung erhalten und eine Nachbesserung angemahnt wird. SPD und Grüne werden für die nächste Sitzung des Sozialausschusses entsprechende Anträge stellen. Ebenso haben Grüne und SPD beantragt, dass in der nächsten Ausschusssitzung das dramatische Problem der Verschuldung thematisiert wird. Angesichts von 18.000 überschuldeten Menschen in dieser Stadt, denen, wegen Überlastung der Schuldnerberatungsstellen kein Beratungsangebot unterbreitet werden kann, erscheint uns das absolut notwendig“, so Frank Knoche.