Solingen/ Die Schleuser-Affäre in Solingen zieht immer weitere Kreise — im Fokus der Ermittler steht nun ein prominenter Veranstaltungsort in der Klingenstadt: die Alte Maschinenhalle am Gründer- und Technologiezentrum (GuT). Der Verdacht: Die Sanierung des beliebten Veranstaltungsortes könnte mit illegalen Geldern aus mutmaßlichen Schleusungen finanziert worden sein.
Wie die Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten (ZeOS NRW) auf Anfrage bestätigte, ist die Maschinenhalle inzwischen offizieller Bestandteil des Ermittlungsverfahrens. Staatsanwalt Julius Sterzel erklärte auf Presseanfragen: „Der Tatvorwurf im Zusammenhang mit der Maschinenhalle lautet banden- und gewerbsmäßige Schleusung in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Bandenbetrug zum Nachteil der Geschleusten.“ Demnach soll die Halle als sogenanntes Investitionsobjekt genutzt worden sein, um illegal erworbenes Geld zu waschen und die Geschleusten finanziell auszunehmen.
Ein Geschäftsmodell auf Kosten der illegal eingeschleusten Menschen
Über 350 ausländische Staatsbürger sollen durch ein ausgeklügeltes Schleuser-Netzwerk in Deutschland illegal Aufenthaltsgenehmigungen erhalten haben. Dafür wurden sogenannte Offene Handelsgesellschaften (OHG) gegründet, bei denen die Geschleusten als Gesellschafter eingetragen waren — nur zum Schein, denn geschäftsfähig waren sie nicht. Bereits 2018 hatte eine deutsche Behörde in China vor dieser Masche gewarnt.
Neben dem illegalen Aufenthalt sollen die betroffenen Personen auch finanziell betrogen worden sein. Ihnen wurde eine sichere und rentable Sachwertanlage in Aussicht gestellt, verbunden mit der Illusion, ihr investiertes Geld zurückzuerhalten. Tatsächlich aber seien sie laut Staatsanwaltschaft in mehreren Fällen getäuscht worden.
Vertragliche Verstrickungen und ein fragwürdiges Mietmodell
Im Zentrum der Affäre steht ein Pachtvertrag zwischen der Gründer- und Technologiezentrum Solingen GmbH und der ABC-GmbH, einer Firma des beschuldigten Solinger Geschäftsmannes. Diese GmbH wurde mehrheitlich von einer Schleuser-OHG gehalten, deren Gesellschafter neben dem Geschäftsmann auch neun Personen aus China, Indien und dem Oman waren. Der Vertrag sah vor, dass die ABC-GmbH rund 450.000 bis 550.000 Euro in die Alte Maschinenhalle investiert — bei einer Pacht, die zwischen 2.500 und 15.000 Euro im Jahr liegt. Ein Betrag, den Experten als auffallend niedrig einstufen.
Besonders brisant: Die Gründer- und Technologiezentrum GmbH garantierte dem Pächter eine Mindestrendite. Bleiben die Einnahmen aus der Untervermietung aus, verpflichtet sich der Verpächter, die Differenz auszugleichen. Ein Null-Risiko-Geschäft für die ABC-GmbH — mit dem öffentlichen Risiko bei der Stadttochter. Staatsanwalt Sterzel kündigte an, auch den Tatbestand der Untreue prüfen zu lassen.
Kündigung ohne Zustimmung — ein weiterer Skandal
Diese Vertragskonstruktion könnte auch der Auslöser für die fristlose Kündigung von Frank Balkenhol, dem damaligen Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Solingen, gewesen sein. Er hatte Ende 2019 für das GuT den Pachtvertrag unterschrieben — offenbar ohne die notwendige Zustimmung der Gesellschafter einzuholen. Der Fall wird aktuell vor Gericht verhandelt, Balkenhols Anwalt will sich aufgrund des laufenden Verfahrens nicht äußern.
Balkenhol war eng in das International Business Center Solingen (IBCS) eingebunden, das gemeinsam mit dem Solinger Geschäftsmann und einem ebenfalls beschuldigten Anwalt aus dem Raum Köln gegründet wurde. Ziel war es, ausländische Investoren — vor allem aus China — nach Solingen zu holen. Dass das IBCS 2018 gegründet wurde, also zeitgleich mit den ersten Warnungen vor einer möglichen Schleusermasche, wirft zusätzliche Fragen auf.
Immer mehr Verdächtige im Visier
Inzwischen hat sich der Kreis der Verdächtigen deutlich erweitert. „Neben dem Oberbürgermeister richten sich die Ermittlungen gegen sechs städtische Beschuldigte sowie einen weiteren aus dem Bereich der Wirtschaftsförderung“, so Staatsanwalt Sterzel. Bekannt war bislang nur, dass gegen OB Tim Kurzbach (SPD), Rechtsdezernent Jan Welzel (CDU) und zwei Mitarbeiter der Stadt sowie einer städtischen Gesellschaft ermittelt wurde.
Rückblick: Die Razzia im April 2024
Vor einem Jahr, im April 2024, waren bei einer bundesweiten Razzia mehr als 100 Objekte durchsucht worden — darunter auch die Ausländerbehörde und die Wirtschaftsförderung Solingen sowie mehrere Firmen- und Wohnsitze des Solinger Geschäftsmanns. Im Fokus standen damals über 60 Beschuldigte, die an illegalen Aufenthaltsgenehmigungen beteiligt gewesen sein sollen.
Die Ermittler gehen davon aus, dass die Geschleusten wussten, dass die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nicht vorlagen. Neu ist der Verdacht, dass sie zusätzlich mit vermeintlich sicheren Investitionen geködert wurden — ihr Geld aber nie wiedersahen.
Investitionen und offene Fragen
Bereits 2019 war die Alte Maschinenhalle umfangreich saniert worden. Schon damals wollte die Wirtschaftsförderung keine Angaben darüber machen, wer den mittleren sechsstelligen Betrag investiert hatte. Im Zuge der Ermittlungen wurde bekannt, dass sich der Pächter verpflichtete, die Sanierungskosten zu tragen — abgesichert durch ein für ihn vorteilhaftes Vertragskonstrukt mit garantierten Einnahmen.
Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre die Alte Maschinenhalle nicht nur ein Veranstaltungsort, sondern ein Dreh- und Angelpunkt für Geldwäsche und Betrug im großen Stil. Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter — auch zur Frage, warum die Stadt und die Wirtschaftsförderung selbst nicht investiert und stattdessen einem dubiosen Unternehmen derart günstige Konditionen eingeräumt haben.
Ein Ort mit bewegter Geschichte
Heute dient die Alte Maschinenhalle, die während der Corona-Pandemie als Testzentrum genutzt wurde, als Veranstaltungsort für Hochzeiten, Feiern und Events — auch von der Wirtschaftsförderung selbst. Ihr Ruf dürfte durch die aktuellen Entwicklungen jedoch erheblichen Schaden nehmen.