Solingen/ Der Messerangriff vom 23. August 2024, bei dem auf einem Stadtfest auf dem Fronhof in der Innenstadt drei Menschen getötet und acht weitere schwer verletzt wurden, wird in den kommenden Wochen vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verhandelt. Im Zentrum des bevorstehenden Terrorprozesses: Issa al H., ein 27-jähriger syrischer Asylbewerber, der sich nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft gezielt radikalisiert und in direktem Kontakt mit einem IS-Hintermann gestanden haben soll. Recherchen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel beleuchten nun die erschreckenden Hintergründe der Tat.
Demnach hatte al H. bereits in der Nacht vor dem Angriff ein Bekennervideo aufgenommen – im Keller eines Dönerladens in der Solinger Innenstadt, wo er als Reinigungskraft arbeitete. Mit zwei um den Kopf gewickelten Küchentüchern, die optisch an Palästinensertücher erinnern sollten, posierte er vor der Kamera. In der Hand hielt er ein Dönermesser, mit dem er drohend gestikulierte. In dem arabischsprachigen Video kündigte er unter dem Kampfnamen „Samarkand Al-Quatani“ Rache für die „Massaker der Kreuzzügler in Palästina“ an. „Bei Gott, ich werde euch zerstückeln“, drohte er.
Noch in derselben Nacht begab sich al Hasan laut Ermittlungen zum Fronhof in der Nähe der Stadtkirche – nur 200 Meter vom Tatort entfernt. Über den Messenger-Dienst Telegram sendete er seinem mutmaßlichen Kontaktmann beim sogenannten Islamischen Staat (IS) ein Foto der leeren Bühne sowie ein Messer-Emoji. 17 Stunden später, gegen 21.37 Uhr, begann der blutige Angriff auf zahlreiche Besucher des „Festivals der Vielfalt“.
Laut Spiegel war al Hasan bereits vor seiner Ankunft in Deutschland islamistisch geprägt. Der Terroranschlag der Hamas auf Israel im Oktober 2023 sowie die darauffolgenden israelischen Angriffe auf Gaza hätten seine Radikalisierung weiter verstärkt. Am 25. Dezember 2022 reiste er über Bulgarien nach Deutschland ein. Eine geplante Rückführung scheiterte, weil er untergetaucht war – sein Asylverfahren wurde schließlich in Deutschland aufgenommen.
Den Kontakt zu seinem IS-Hintermann „Abu Faruq“ soll al Hasan online gefunden haben. In Chatnachrichten riet dieser ihm, ein „kurzes, aber scharfes Messer“ zu verwenden. Am Nachmittag des Tattags, um 16.26 Uhr, kaufte al Hasan laut Überwachungskameras in einem Geschäft an der Solinger Hauptstraße ein Messerset für 29,99 Euro. Das 15 Zentimeter lange Tranchiermesser nahm er später mit zum Tatort.
Im Gefängnis versuchte al H. laut Gutachtern, sich von seiner Verantwortung für die Tat zu distanzieren. Gegenüber einem psychiatrischen Sachverständigen behauptete er, nichts mit dem IS zu tun zu haben. Ein Unbekannter habe ihn manipuliert und ihm das Paradies versprochen. Die Bundesanwaltschaft hält diese Einlassung allerdings für eine Schutzbehauptung, mit der al H. womöglich eine seelische Störung geltend machen will – in der Hoffnung auf eine mildere Strafe.
Das Motiv seiner Tat soll er gegenüber den Ermittlern mit dem Anblick fröhlicher Menschen am Fronhof erklärt haben. Dies habe in ihm Bilder von toten Kindern im Gazastreifen ausgelöst. Ein Musiker auf der Bühne habe ihn angeblich an einen israelischen Polizisten erinnert, woraufhin er in einem Wahn gehandelt habe.
Die Ermittler jedoch sehen die Tat als eiskalt geplant an. Sollte das Gericht der Anklage folgen, droht Issa al H. eine lebenslange Freiheitsstrafe sowie eine anschließende Sicherungsverwahrung.